Wie Christentum zur Zwangsneurose werden kann

Eine Zwangsstörung (Zwangsneurose) ist eine psychische Erkrankung, bei der es dem Betroffenen nicht gelingt, bestimmte, sich immer wieder aufdrängende Gedanken und Aktivitäten zu unterdrücken oder zu verdrängen. 

Dies wird dann der Fall sein, wenn der Betreffende die irrige Auffassung vertritt, dass sein Heil oder ein bestimmtes Heilsgeschehen von diesen Zwangshandlungen oder -gedanken abhänge. Genau dies wird allerdings im Gott verfehlenden Christentum praktiziert. Man bildet sich ein, dass man bestimmte Gedanken denken müsse und/oder bestimmte Handlungen ausführen müsse, um am Heilsplan Gottes Anteil zu haben und nicht von seinem Heil ausgeschlossen zu werden. 

So werden dem Menschen in der verfehlenden Ausprägung des Christentums bestimmte Glaubensformeln eingebläut, die er für wahr halten muss, um nicht in die Verdammnis geworfen zu werden. Diese Verdammnis ist letztlich der Ausschluss aus der Gemeinde derer, die sich auf die entsprechenden Gedanken geeinigt haben. 

Eine verbreitete irrige Annahme ist es, dass man dadurch errettet sei, dass man glaubt, dass Jesus für die Vergebung der Sünden gestorben sei. Nur wer sich diesen Gedanken zwangsweise auferlegt, darf dann in der Gemeinde der dem Zwang unterworfenen Menschen bleiben, während alle anderen gecancelt und exkommuniziert werden. Diesem äußerlichen Gruppendruck wird ein innerlicher Druck an die Seite gestellt, wenn der Betreffende nun nicht nur den anderen Mitgliedern seiner Gemeinde den Gefallen tun möchte, an ihren gedanklichen Formeln mitzuwirken dem Anschein nach, sondern es innerlich tatsächlich glaubt, dass er dann in die Hölle gehen werde, wenn er den Glaubenssatz nicht denkt. 

Wenn dies der Fall ist, wenn also ein innerer Zwang eingetreten ist, dann handelt es sich um eine Zwangsneurose, da der Betreffende nun ständig seinen „Glauben“ innerlich wiederholen muss, um nicht von sich selbst gedanklich als ein Verworfener angesehen zu werden. Der Mensch hat sich in den Wahn hineingesteigert, dass Gott ihn nur dann annehmen könne, wenn er die ihm vorgegebene Glaubensformel denkt. 

Während dies im religiösen Kontext verbreitet ist, fällt es im nicht religiösen Kontext eher auf, wenn sich ein Mensch in Aberglauben verrennt, und beispielsweise glaubt, er müsse sich die Hände dreimal waschen oder dreimal denken „sauber, sauber, sauber“, um nicht von Krankheiten zerfressen zu werden oder „unrein“ zu sein. Dann ist sofort offensichtlich, dass es sich um eine Zwangsstörung handelt, während dies im religiösen Kontext eher vertuscht wird. 

So sagen wir es ganz deutlich: Wegen seiner Gedanken wird niemand von Gott angenommen oder verworfen. Ebenso verhält es sich mit den Emotionen. Man kann sich aber einreden, dass es doch so sei und dann leidet man unter einer Zwangsneurose. Gott nimmt einen zwar weiterhin an, aber der Mensch lebt in innerem Stress, weil er ja meint, er müsse sich ständig durch seinen Glauben rechtfertigen, der in Handlungen oder Gedanken bestehen kann.

Gott vergibt uns nicht, weil wie bestimmte Gedanken denken, wie den, dass Jesus am Kreuz zur Vergebung der Sünden gestorben sei. Gott vergibt uns, weil er eben so ist, dass er vergibt. Dies ist ja die Auskunft des Herrn selbst. 

Müssen wir also umkehren von unserm Wahn, damit uns Gott vergeben kann? Nein, das müssen wir nicht. Aber wir sollten unseren Wahn überwinden, um in den Genuss dessen zu kommen, was wir dann haben, wenn wir nicht dem Wahn unterliegen. Die Umkehr dient somit nicht der Vergebung durch Gott, sondern sie dient der Überwindung unserer Störungen, unter denen wir leiden, wenn wir uns in Wahn verrannt zu haben.

Tatsächlich geht es also nicht um die Vergebung durch Gott, sondern um die Überwindung von Störungen. Die Umkehr ist die Überwindung von Störungen und nicht die Voraussetzung dafür, dass Gott den Menschen annimmt. 

So sagt Gott auch, dass wir darin bei Gott sind, dass wir auch unsere Feinde lieben. Das sind dann nicht unsere Feinde, sondern Menschen die unter Störungen leiden. Sie sehen uns nämlich als Verdammte an, weil wir nicht das tun oder denken, was sie für die richtige Ausübung ihres Glaubens halten. Sie kämpfen gegen uns, weil wir nicht jene Zwangsgedanken denken, von denen sie meinen, man müsse zumindest so tun, als würde man sie denken. Auch nehmen wir nicht an jenen Ritualen bei, von denen sie meinen, dass sie Voraussetzung für die Annahme bei Gott seien. 

Unser Glaube ist nicht das Glauben bestimmter Gedanken, sondern das Vertrauen auf den jetzt und hier anwesenden Gott, dass er uns angenommen hat schon von vor unserer Geburt und dass wir uns nicht rechtfertigen müssen vor Gott, um angenommen zu werden. Weil wir keine Voraussetzungen für die Annahme durch Gott in unser Leben einbauen, entsteht auch nie der Verdacht, dass wir die Voraussetzungen nicht erfüllt hätten. Weder Glaubensformeln noch Rituale sind für uns Voraussetzung noch sind sie Hindernis für die Annahme durch Gott. 

Weil wir uns also nicht einbilden, dass religiöse Zwangsvorstellungen begründet sein können, haben wir auch keinen Grund, bestimmte Menschen abzulehnen oder zu hassen. Gerade darin sehen wir die Lehre des Jesus erfüllt, dass wir keine Zwangsmaßnahmen und Zwangsgedanken zu erfüllen haben.

Wir werden nicht Christen, damit wir endlich von Gott angenommen werden, sondern damit wir von den Irrtümern frei werden, die uns ansonsten von der Liebe abhalten könnten. Die größten Gefahren gehen dabei von jenen Zwangsneurosen aus, unter denen viele Christen leiden. Denn diese sehen uns als böse an, weil wir nicht teilnehmen an ihren Ritualen und Zwangsgedanken, um gerechtfertigt zu werden. Wenn wir daran teilnehmen sollten, dann nicht um gerechtfertigt zu werden. Denn wir glauben weder, dass die Teilnahme einen Menschen böse macht, noch glauben wir, dass es einen Menschen böse macht, nicht teilzunehmen. Aber wir wissen, dass Menschen denken können, sie oder andere seien böse, wenn sie teilnehmen oder nicht teilnehmen an bestimmten Ritualen und kollektiven Gedanken. 

Wir wollen daher niemanden „gut“ machen. Wir helfen lediglich dabei, gewisse Krankheiten in Geist und Seele zu überwinden, um sich dessen in Gesundheit erfreuen zu können, was wir schon haben, wenn wir aufhören, selbst Hürden aufzubauen.

Nein, Jesus ist nicht gestorben, damit ich in Ordnung bin für Gott. Das bin ich von Anfang an gewesen und hierzu war kein Opfer erforderlich. Daher kann ich jeden Menschen lieben, so wie es auch Gott tut. Denn auch Gott führt kein Gericht über die Menschen, so also seien sie nicht alle annehmbar.

Dennoch ist es möglich, sich so sehr zu verstören, dass man Angst vor Gott hat und Gottes Fürsorge im eigenen Leben unterbunden wird. Dies ist die Störung, die wir nicht mehr haben. 

Während Johannes der Täufer die Menschen aufgerufen hat, nicht mehr so böse zu sein, damit sie endlich von Gott wieder angenommen werden können, hat Jesus etwas ganz anderes gesagt. Während Johannes der Täufer unter religiösen Wahnvorstellungen litt und zwanghaft Askese betrieben hat, war Jesus ganz entspannt und vertraute Gott einfach wie ein kleines Kind. 

Jesus hat gelehrt, dass das Reich Gottes schon da ist. Er hat die Hürden weggenommen, die die religiösen Führer aufgebaut haben, um die Menschen in Zwangsneurosen zu fesseln. Damit hat er auch die Denkfehler der religiösen Führer aufgezeigt, was diesen nicht geschmeckt hat. Denn diese sind wie psychisch kranke Menschen, die wütend werden, wenn man auf ihre Störungen hinweist. Doch dem Arzt geht es um die Heilung und nicht um die Anklage der Störungen. 

Das ist ja die Botschaft des Jesus, dass Gott uns unsere Störungen nicht vorwirft, sondern dass er uns helfen möchte, diese zu überwinden. Jesus ist daher am Besten als Psychologe zu begreifen, der seine Patienten nicht anklagt für ihre Störungen, sondern sie wertschätzt und liebt, noch während sie im Wahn gefangen sind. Jesus wirft uns unsere Zwangsneurosen nicht vor, sondern bietet uns an, uns daraus zu erlösen. 

So wollen wir uns hüten, mit dem Finger auf diejenigen Christen zu zeigen, die unter Denkzwang oder Handlungszwang leiden. Wir möchten sie ebenso in Liebe annehmen, wie es Jesus tut, dem wir nachfolgen. Dass sie uns als Bösewichte und Satane ansehen, dass liegt in der Natur ihrer Störung. Sie können nicht anders, denn sie wissen nicht, was sie tun. 

Thomas Ihli
Thomas Ihli

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