Volksseuche Neid

Wenn jemand etwas besser kann als Andere und sich über sein Können freut, dann wird er von vielen Menschen zwanghaft geschmäht und angegriffen. Man nennt dieses Phänomen Neid, während aus Sicht des Neidischen kein Mangel auf seiner Seite vorliegt, sondern auf der Seite dessen, den er in seinem Neid attackiert. Denn dieser ist in seinen Augen unbedingt schuldig zu sprechen der bösen Sünde des Stolzes, was es zur heiligen Pflicht macht, gegen ihn vorzugehen und ihn anzugreifen mit dem Ziel der Erniedrigung des Bösewichts des Stolzes. Der Neidische sieht sich in seiner Wahnvorstellung selbst als einen Krieger des Guten in quasi-göttlicher Mission, der gegen den Stolz des bösen Teufels angeht, und daher ungemein tugendhaft handele. Der Neidische erkennt bei sich keinen Neid, sondern in seiner verzerrten Wahrnehmung den Teufel in Gestalt dessen, der sich seiner „Guten Werke“ rühmt. Ihm will er das Handwerk legen und ihn demütigen.

Dieses Vorgehen ist über Konditionierung erlernt, da man vielleicht selbst erlebt hat, wie man von neidischen Menschen attackiert wurde, die den Vorwurf des Stolzes erhoben haben, um ihr destruktives, zerstörerisches Verhalten zu legitimieren. Wer sich konditionieren ließ, meinte dann zustimmend, dass jene wohl im Recht seien und es richtig sei, auf jeden „teuflisch stolzen“ Menschen loszugehen, der sich seiner Taten rühmt und offenkundig freut. Den Geist des Neids kann man denen weitergeben, die sich davon anstecken lassen. Dies aber ist in großen Teilen der Bevölkerung geschehen.

Im Neid gilt dann: Nur wenn es der Andere versteht, sich solcher Dinge zu erfreuen, von denen er glaubt, er habe selbst keinen Anteil daran gehabt, wird man Freude beim Anderen und damit auch bei sich selbst noch ertragen können, ohne wild zuschlagen zu müssen. Sobald man sich etwas aber selbst zuschreibt, schnappt die Falle des Neides, dieses unreinen Geistes, auch gegen die eigene Freude zu und führt zu unbewusster Selbstzerstörung, bis man sich selbst klein gemacht hat. 

Neid führt also dazu, dass man sich seiner eigenen Leistungen nicht mehr freuen kann, sondern diese als ungemein gefährlich ansieht. Sobald man etwas geleistet hat, muss man etwas anrichten, was einer etwaigen Freude entgegenwirkt. 

Dies aber ist das Gegenteil dessen, was Gott geboten hat, als er sagte, dass wir nicht neidisch sein sollen.

Der Vorwurf des Neiders an seine Mitmenschen ist der des Stolzes oder Hochmuts. Tatsächlich sagt uns die Bibel, dass Gott den Hochmütigen widerstehe und den Demütigen Gnade erweise. Doch was ist damit eigentlich gemeint?

Wenn man in der Sünde des Neids lebt und seine Mitmenschen verfolgt, wenn diese sich über eigene Leistungen freuen, so wird man sich unbewusst selbst verfolgen, wenn man es ebenso hält. Man führt also die Waffen gegen sich selbst, wenn man das tut, was man einem anderen Menschen vorhält. Daher wird man sich selbst bekämpfen, wenn man sich über ein eigenes Werk freut, wenn man sich über das freut, was man tut. In dieser Hinsicht ist aber auch die Hinwendung an Gott ein gutes Werk, das man selbst tut und dieses Werk wird vom Menschen selbst bekämpft, wenn er Neid praktiziert. So kann er sich nur Gott zuwenden, wenn er sich nicht freut und sich dabei selbst beschimpft. Er wird somit eine falsche Demut praktizieren müssen, wenn er sich Gott zuwendet, um sich nicht selbst bestrafen zu müssen. Dies nun ist das Verständnis, das ein neidischer Mensch von Hochmut und Demut in Bezug auf Gott hat. Denn er muss es vermeiden, sich zu freuen, um nicht seinen eigenen unterbewussten Attacken zum Opfer zu fallen. Daher nennt er sich einen bösen Menschen, einen Schuldigen und redet alles Böse gegen sich, was er Buße nennt und geht so in der Haltung eines sich selbst erniedrigenden Menschen zu Gott. Nichts davon ist der Wille Gottes, sondern all dies beruht auf Irrtum und Unverstand. 

Was Gott unter Demut tatsächlich versteht ist, dass man andere Menschen nicht richten soll. Man soll sie also nicht anklagen, wenn sie sich über angebliche oder echte Leistungen freuen. Denn der Hochmut liegt darin, dass man selbst Gericht führt. Der echte Hochmut zwingt den Menschen dazu, die falsche Demut zu praktizieren, um nicht den Zorn des eigenen Gerichts zu ernten. Der Neid ist somit ein Ausdruck des eigenen Hochmuts. Und des zwanghaften Versuchs, andere Menschen in die Knie zu zwingen, wenn diese sich über ihre Leistungen freuen. 

Aus dem Neid entwickelte sich eine spezielle Neid-Theologie. So ersannen neidische, hochmütige Menschen eine Theologie, die das als Gottes Wille auslegen will, was sie aufgrund ihres Neides selbst erleben. In dieser falschen Theologie scheint es irrtümlich Gottes Wille zu sein, wenn man sich selbst als böse ansieht und von sich behauptet, zu keinerlei gutem Werk in der Lage zu sein. Alles Gute wird in dieser Verirrung allein Gott zugewiesen und als Akt der unverdienten Gnade fehlgedeutet. Dieser Eindruck entsteht eben jenen Menschen, die massiv im Hochmut leben und alles neidisch bekämpfen müssen, was sich Menschen selbst zuschreiben. Sie dürfen vor sich selbst keinen Verdienst haben, um nicht in die Gewalt ihres destruktiven Gerichts zu geraten, das jeden Menschen erniedrigen möchte, der sich nicht selbst klein macht, indem er von sich sagt, dass er böse sei und nichts Gutes tun könne.

Tatsächlich ist dies alles Verirrung und Ausdruck des Hochmuts des Gerichts, das die Menschen gegen sich und andere führen. 

Wenn man nun kein Gericht gegen sich und andere führt, dann ist auch der Neid besiegt. Denn dann ist ja kein Vorwurf mehr zu erheben gegen einen Menschen, der etwas Gutes getan hat und sich dessen auch freudig bewusst ist. Ferner wird auch keine Anklage erhoben gegen Menschen, die etwas nicht geschafft haben. So kommt auch der Impuls auf, anderen zu helfen, die etwas noch nicht so gut können. Und wenn man im Hochmut lebt, der sich darin äußert, andere Menschen des Hochmuts zu bezichtigen, wenn sich diese über ihre Leistungen freuen, dann kann man etwas nicht so gut. Man versteht Gott nicht gut, hat also Schwierigkeiten dabei, Gott richtig zu verstehen und ist anderen darin unterlegen. Dies aber klagen wir nicht mehr an, wenn wir selbst aus dem Hochmut ausgestiegen sind. 

 

Thomas Ihli
Thomas Ihli

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