Reichtum und Bedürftigkeit treten in jeder Gesellschaft auf. Doch dieses äußerliche Phänomen deutet auf eine geistliche Wahrheit hin, die ich in diesem Beitrag beschreiben möchte.
Denn der Reichtum kann uns ein Bild für die Fähigkeit des Gebens und Erlösens sein. So verwendete auch Jesus für seine Fähigkeit zur Erlösung das Bild des Bezahlens eines Lösegeldes. Diese große Autorität im Tun und Wirken kombiniert Jesus allerdings mit einer enormen Bereitschaft zur Hingabe und zum bedürftigen Empfangen des Heils für sich selbst, wie es sich am Kreuz und in der Auferstehung zeigt.
Der geistlich Reiche ist somit gleichsam auch der geistlich Arme. Jesus spannt sein Wesen auf zwischen der irdischen Bedürftigkeit und dem himmlischen Reichtum. Beides ist erforderlich, um wie Jesus das Ziel der Entwicklung zu erreichen. Man sagt auch über Jesus, dass er ganz Gott ist und ganz Mensch ist und dass beides nicht miteinander vermischt ist. Diese Entfaltung, dieses Aufspannen des Wesens in das ganze Wirken und das ganze Sein kann uns als großes Vorbild dienen für unseren eigenen Heilsweg inspirierend wirken, wenn wir es nachahmen wollen.
Wer nun die Bedürftigkeit des Bettlers ablehnt, der wird auch den Reichtum des Fürsten hassen. Er wird eine Kontraktion des Wesens anstreben, bei der weder die Bedürftigkeit des Empfindens noch die Autorität des Schöpfers geliebt wird. Der Kontrahierte will nichts von beidem sein, anstatt beides zu werden, wie Jesus.
Es stellt sich heraus, dass nicht der Bedürftige der Verdammte ist, sondern derjenige, der die Bedürftigkeit und den Reichtum hasst und bekämpft. Wer die Ausspannung des Tuns und Seins unterbinden möchte, ist getrieben von einem Unglauben und großer Angst davor, an die „Ränder“ der Gesellschaft zu geraten, wo man aber Jesus finden kann, wenn man sich wie er auf beiden Seiten selbst findet und daher auch den Kontrahierten ein Erretter sein kann.
Die Liebe zum Bettler und zum Reichen sollen wir entfalten, um uns selbst zu entfalten. Wir helfen den Menschen, indem wir ihnen die Angst nehmen vor diesen vermeintlichen Rändern unseres Wesens, die in der Bedürftigkeit und in der Befähigung bestehen. Das Ziel ist es daher nicht, die vermeintlich verlorenen Menschen an den Rändern mit großer Gewalt und Brutalität in die Mitte zu zerren, sondern sich selbst so aufzuspannen, dass man den Bedürftigen liebt, um ihm zu schenken und den Reichen liebt, um ihm zu danken.
Die Liebe zum Reichen und zum Bedürftigen kann uns helfen, uns in diese Ränder zu entfalten, wie es Jesus getan hat. Viele Menschen haben davor Angst und Abscheu und sie ziehen sich zusammen auf ein Nichts, in dem man weder geben noch empfangen kann und den Stillstand des Lebens erleidet, also den Tod und die Verdammung aus eigenem Unverstand.
Daher ist ein Umdenken, eine Umkehr erforderlich von der Illusion der klassenlosen Gesellschaft, in der einieder in den mittleren Tod geraten müsste, weder zu geben noch zu nehmen, sondern sich alles selbst verdienen zu müssen, was nicht geht.
Die Hingabe und die Großzügigkeit sind die beiden Seiten der einen Medaille, der Barmherzigkeit. Diese wollen wir entfalten, um in die Liebe einzugehen. So sind wir beides, arm und reich. Und das ist Jesus auch schon sowie alle Heiligen des Himmels.
Echter Reichtum erfordert echte Armut und zwar nicht aufgeteilt auf zwei unterschiedliche Menschen, sondern vereint und verwirklicht in ein und demselben Menschen. Sei also Bettler und König in einem, ohne diese beiden Dinge zu vermengen. Sei ganz Empfänger und Wahrnehmer, sei aber auch ganz Geber und Macher. Dann bist du auf dem Weg, den uns Jesus vorgezeichnet hat, dem Weg ins Reich Gottes. Vermeide die Verdammung, die darin besteht, weder Bettler noch Reicher sein zu wollen, sondern sich auf ein sinnloses Nichts einzuschnüren, in dem weder empfunden wird, noch gemacht wird, die totale Depression des Todes. Aus diesem Tod sollst du erretten. Die Bettler sind nicht dein Problem. Das Problem ist die Verweigerung der Annahme des Bettelns und des Gebens.
Dieser Weg in die Kontraktion des Lebens beruht, wie wir oben beschrieben haben, auf der Verurteilung und Ablehnung des geistlich Reichen und des geistlich Armen, der Einer ist.
Dies aber ist das Gericht, an dem der Kontrahierte mitwirkt und das ihn selbst fängt und zusammenschnürt in eine Einstellung, die kein Leben mehr zulässt. Der Kontrahierte klagt an. Er klagt andere an, aber in der Endphase auch sich selbst. Er erkennt, dass mit ihm etwas nicht stimmt, möchte aber oft nicht hören, was das ist. Denn es ist sein Gericht gegen die Armut des Empfindenden und den Reichtum des Schöpfers, das ihn zerstört, dies aber ist sein eigenes Gericht, das er führt. Er bewertet es negativ, dass Menschen so verletzlich sein müssen, dass sie davon abhängig sind, was man ihnen schenkt. Und sie bewerten es negativ, dass Menschen so viel Macht haben, dass sie andere beschenken oder verletzen können. Die Angst vor der Verletzlichkeit und die Angst vor der Macht führen in den Versuch diese in sich selbst zu verbieten. Dies ist Ausdruck eines Weges, der von Gott wegführt in die Depression der Verdammung. Habt also keine Angst vor Verletzlichkeit und keine Angst vor Macht, sondern gestattet beides in euch selbst, um euch ganz zu entfalten in der Nachfolge Jesu.
Der Herr zeigt uns seine Verletzlichkeit und seine Kraft. Beides zusammen ist die Lösung. Eines oder Keines davon ist nicht die Lösung. Wer nach sozialer Gerechtigkeit ruft, ohne sie in sich selbst zu verwirklichen, der hat Jesus nicht verstanden. Denn die Gerechtigkeit zieht in uns ein, wenn wir uns die Macht ebenso erlauben wie die Verletzlichkeit, beides in uns selbst, so dass wir ein guter Hirte sind, ein freudiger Geber und ein freudvoller Empfänger.