Last-Minute-Failure – Die Angst vor dem Matchball

Das Phänomen des Last-Minute-Failure tritt in allen Lebensbereichen auf und wird insbesondere in Sportarten wie Tennis auch für den Zuschauer ersichtlich. Man sieht einen Spieler, der zuverlässig und überlegen gespielt hat – bis kurz vor den Gewinn des Spieles. Im letzten Moment geschieht etwas schwer Verständliches, denn der vor seinem Triumph stehende Athlet zeigt plötzlich Schwächen. Er wirkt nervös und schiebt Bälle ins Aus, die er zuvor sicher verwandeln konnte. Woran liegt das?

Dieses Phänomen hat mehrere Ebenen, die wir betrachten wollen. Zunächst einmal ist es auf der mentalen Ebene für den Spieler selbst nachvollziehbar, dass er sich plötzlich damit beschäftigt, dass er nun auf keinen Fall noch verlieren möchte. „Jetzt“, wo er so viel geleistet hat, will er die Ernte einfahren. Er will besondern sorgfältig spielen und keine Fehler mehr machen. Und dann sieht er, wie er das tut, was er nicht tun wollte, er spielt plötzlich viel schlechter, als zuvor. 

Doch hinter der mentalen Ebene liegt eine spirituelle Ebene, die dem Sportler und seinen Trainern in aller Regel verborgen ist. Denn bevor diese eigenartigen und unnützen Gedanken im Bewusstsein des Athleten auftauchten, wurde eine geistliche Systematik aktiviert, die man nicht umgehen kann. 

Denn das Misstrauen des Menschen wird gerade dann angestachelt, wenn sich eine große Freude nähert. Diese Freude wäre zwar schön für die Seele, doch die Seele sträubt sich auch gegen diese Freude, weil sie Angst davor hat, von der Freude wieder zurück in die Finsternis der Zeit nach der Freude zu fallen. Das Wissen darum, dass die Freude nur temporär wäre und schmerzlich enden würde, lässt Zweifel aufkommen, ob es überhaupt so sinnvoll wäre, sich auf eine derlei kurzfristige Stimmungsaufhellung einzulassen, wenn sie nachher doch wieder verloren geht und damit einen bitteren Nachgeschmack erzeugen wird.

Die Seele beginnt aufgrund dieser Zweifel damit, dem Athleten entgegenzuarbeiten, wenn die Freude bereits in der Tür steht. Die Seele sagt sozusagen zur Freude „Nein, Danke!“. Denn sie will sich nicht mehr auf diesen flüchtigen und treulosen Kameraden einlassen. So denkt die Seele bei vielen Menschen, die viele „Enttäuschungen“, also den Verlust einer heiteren, unbeschwerten Stimmung, erleben mussten. Da bleibt die Seele lieber gleich beschwert, was einfacher zu ertragen ist, als das ständige hin- und her. 

Die Seele, die so denkt, kennt den Ausweg aus der Situation noch nicht, aber dazu später mehr. Bleiben wir noch bei diesem Kampf zwischen dem Verstand, der sagt, dass er so gerne gewinnen möchte und der Seele die davor nur warnen kann. Denn der Verstand spürt den inneren Widerstand der Seele vor dem triumphalen Sieg aufkommen und beginnt daher damit, sich vorzunehmen „jetzt bloß keinen Fehler“ mehr zu machen. 

In dieser Phase tritt der Athlet in einen Prozess der inneren Verhandlung mit sich selbst ein. Wie kann er seine Seele beruhigen, die sich auf einen euphorischen Triumph nicht einlassen möchte. Er wird seiner Seele, also sich selbst, sagen, dass auch ein Sieg kein Grund zu „Überschäumender Freude“ sein werde. Vielmehr wäre es nur ein unbedeutender Schritt und man wird sich schon nicht zu sehr freuen. Der Sieg ist also möglich, weil die Freude auch im Falle eines Sieges ausgeladen wird. Auf der Basis dieses Deals zwischen Seele und Verstand darf der Verstand seinen Sieg einfahren, muss aber im Sieg Demut zeigen und darf sich nicht groß feiern lassen.

Der Gewinner wird dann nach seinem Sieg, den er dann doch noch erreicht hat, nachdem er sich wieder gefangen hat, eigenartig gefasst vor die Reporter treten, die ihn befragen, wie immens wohl seine Freude jetzt sei. Er wird ihnen antworten, dass er erstmal nur erleichtert ist und die Freude wohl erst mit der Zeit so richtig aufkommen werde. Das wird sie natürlich nicht, weil er statt einer Freude für sich entscheiden wird, lieber neue, größere Ziele aufzuhängen, die möglichst so groß sein sollen, dass seine Freude nie aufkommt.

So kann auch ein Mensch beruflichen oder sportlichen Erfolg haben, der sich eigentlich seelisch der Freude gegenüber misstrauisch zeigt, weil er ihr Kommen und Gehen nicht ertragen kann. Er darf sich halt nie so richtig freuen und muss immer „gefasst“ bleiben. Das wird sein heimliches Erfolgsrezept, das die Außenstehenden nicht nachvollziehen können, weil sie sich einbilden, dass die Stars wohl ganz glückliche Leute sein müssten. Sind sie aber in der Regel nicht. Sie haben nur große Ziele, sind also sehr ehrgeizig in dem, was sie tun. JA sie sind bescheiden geblieben, und das respektiert man, ohne es von außen zu verstehen. Wer aber nicht auf dem Boden bleibt, so weiß man das aus Erfahrung, bleibt ein eigenartiges „One-Hit-Wonder“. Man versteht nicht, warum er sich nur einmal freuen durfte und dann abstürzte. Man sagt dann „Hochmut“ kommt vor dem Fall.

Nachdem wir nun verstehen können, was der Hintergrund der mentalen Schwankungen beim Athleten vor seinem Matchball ist, wollen wir betrachten, wie ein Mensch tatsächlich dauerhafte Freude erreichen kann.

Das Geheimnis der Freude ist, dass diese nicht dauerhaft funktioniert, wenn man sie wegen eines Ereignisses oder Zustandes hat. Nur bedingungslose Freude ist dauerhaft. Jede bedingte Freude ist von kurzer Dauer und löst eine Katerstimmung aus, wenn sie verfliegt und aus Freude wieder Elendigkeit wird. 

Daher wollen wir in der Nachfolge des Jesus dem Herrn nicht nur danken, wenn wir gerade tolle Wunder tun, sondern insbesondere auch dann, wenn sie uns nicht gelingen wollen. Auch dann, wenn wir krank sind und wenn wir Misserfolg haben, wollen wir uns freuen und dem Herrn danken. Das Leben wollen wir immer mit großem Dank empfangen und uns nicht daran machen, es zu analysieren, ob es uns wohl besonders beschenkt habe, dass wir uns freuen dürfen. Nein, wir wollen in allem Dank sagen. Und so können wir mit oder ohne Gewinn eines Tennisturniers in der Freude leben.

Wir entscheiden uns für die stete Freude des Lebens, statt für die ständige „Bescheidenheit“. Dies können wir vom Herrn lernen. So können wir unserer Seele die Angst nehmen, die sie vor der Freude hat, weil sie die Schmerzen des Weichens der Freude verhindern möchte. Wir wollen uns erlauben, immer glücklich zu sein. Und das bedeutet, dass es tatsächlich realistisch ist, dass wir nicht in einem ständigen Auf-und-Nieder-immer-Wieder leben müssen. Dann geht plötzlich beides: Stetes Glück und Erfolg mit unseren Werken von Zeit zu Zeit. 

Thomas Ihli
Thomas Ihli

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