Das Kreuz und seine Bedeutung

Wir möchten in diesem Beitrag vordergründige Meinungen über das Kreuz als Symbol für den Tod und für christlichen Glauben beiseite legen und uns mit der spirituellen Bedeutung des Kreuzes beschäftigen.

Zunächst ist das Kreuz ein Folterinstrument, mit dem irdische Fürsten ihre Macht demonstrieren, Menschen einschüchtern, bestrafen und ermorden, wenn sie ihnen unangenehm werden und eine Beseitigung opportun erscheint aus Sicht des weltlichen Fürsten. Das Kreuz ist somit zunächst ein Symbol der Sünde, der Abweichung von Gott und kommt nicht aus dem Geist Gottes, sondern aus dem derer, die Gott verlassen haben, um sich eigene Reiche zu erschaffen, in denen die Ordnung Gottes außer Kraft gesetzt wird und abweichende Ordnungen durchgesetzt werden. Diese abweichenden Ordnungen dienen vermeintlich dem Wohl des Fürsten, was sich allerdings mit fortlaufender Zeit jeweils als Trugschluss erweist und als Weg ins Verderben. Damit zeugt das Kreuz auch von der Illusion der weltlichen Menschen, die sich einbilden, mit ihrer Gewalt und Machtanwendung auf dem Weg ins Heil zu sein, ohne vom falschen Weg umkehren zu wollen. Über die Anwendung des Kreuzes gegen Jesus jubeln daher nicht die Jünger des Jesus, sondern diejenigen, die darin einen Beweis zu erblicken meinen, dass doch der Weg der Abweichung von Gott der bessere Weg sei und insgesamt gerechtfertigt würde durch die Hinrichtung des Jesus am Kreuz. Aus Sicht der uneinsichtigen Abweichler von Gott ist das Kreuz somit ein Symbol ihrer Befreiung vom Gesetz Gottes und eine Ermutigung auf ihrem Weg wohlgemut ohne Gewissensbisse weiterzugehen. Der Blick zum Kreuz ist ihnen eine Genugtuung und sie fühlen sich wieder besser dabei, nicht so zu sein, wie Jesus, der Sohn Gottes, der so ist wie Gott.

Aus Sicht von Gott, Jesus und seiner Nachfolger zeugt das Kreuz von den falschen Versuchen und Vorwürfen derer, die Jesus nicht nachfolgen. Ihr Werk wird als äußerliche Demonstration eines inneren Vorgangs verstanden, sich nämlich von Gott frei zu machen. Dies aber wird von Gott gebilligt, denn er hat die Kreuzigung des Jesus nicht verhindert, sondern deren Notwendigkeit betont. Das Kreuz aus Sicht der Heiligen ist damit ein Symbol für die Geduld gegenüber denjenigen, die heute Gott verlassen wollen und sich außerhalb der Ordnung Gottes aufhalten. Gott akzeptiert ihre Ablehnung, ohne die Menschen zusätzlich zu bestrafen. Gott vergibt also die Handlungen der Menschen gegen sich selbst, die auf deren Ablehnung beruhen. Gott gleicht also einem geduldigen betrogenen Ehemann, der seine Frau ziehen lässt und auf ihre Besinnung und Rückkehr wartet, ohne die Frau zu steinigen. 

Für diese Bedeutung steht das Kreuz der Heiligen. Sie ertragen das Kreuz der Ablehnung durch die Sünder, ohne die Sünder zu verfolgen. So hat es auch Jesus gehalten, der seine Vergebung gegenüber den Tätern der Kreuzigung noch am Kreuz zum Ausdruck brachte. 

Damit gibt es zwei Seiten des Kreuzes, was die Interpretation und Bedeutung angeht. Auf der Seite der Heiligen steht das Kreuz für die Geduld Gottes gegenüber den Sündern sowie für seine Sanftmut und seinen Frieden. Auf der Seite der Sünder steht das Kreuz für die unbehelligte Fortsetzung der Sünde in Abwesenheit Gottes unter Ausschluss seiner ordnenden Hand. Das Kreuz trennt damit die beiden Welten voneinander ab, das Reich Gottes auf der einen Seite und das Reich der Sünde auf der anderen Seite. 

Je nachdem, welche Bedeutung das Kreuz für uns selbst hat, stehen wir entweder auf der Seite der Sünder, die gerne weiter in der Sünde leben wollen und sich freuen, dass Gott dies gerechtfertigt hat, indem er seinen Sohn nicht vor ihrer Verwerfung beschützt hat oder wir stehen auf der Seite Gottes und warten geduldig auf ein verlorenes Schaf, das nach seinem Hirten ruft, weil es aus der Sünde gerettet werden möchte. 

Damit wird auch deutlich, dass sich beide Seiten des Kreuzes des Jesus des Kreuzes nicht schämen. Die Sünder erkennen darin Gottes Liebe zu ihnen und seine Bereitschaft, sie auch in der Sünde nicht zu verfolgen. Die Heiligen erkennen, dass es vor Gott gerecht ist, von den Sündern abgelehnt zu werden, um seines Namen willen.  

Die Fürsten aber hatten mit dem Kreuz etwas anderes im Sinn, nämlich die Erbringung des Beweises, dass sie Herren über Leben und Tod seien. Dieser Zahn wurde ihnen gezogen, als Jesus von den Toten auferstanden ist. Nicht der Fürst ist also der Herr über Leben und Tod, sondern es ist Gott, auf dessen Seite Jesus steht, seine Nachfolger und die Heiligen des Himmels. Damit wurde auch die Limitierung der Macht der Fürsten deutlich, die es nur vermögen, auf ihrer Seite des Kreuzes Unheil anzurichten, auf der anderen Seite aber miterleben müssen, dass die Heiligen die wahren Gewinner sind, über die sie keine Macht mehr haben, weil diese aus der Sünde herausgezogen wurden.

Die Akzeptanz der Verwerfung durch die Sünder, ohne auch nur einen Sünder zu verfolgen oder anzuklagen, ist jener Heilsweg, den Jesus gegangen ist. Dieser Heilsweg führt somit durch das Kreuz hindurch ins Heil Gottes. Das Kreuz ist damit auch ein Symbol des letzten Schrittes heraus aus der Sünde hinein in ein heiliges Leben in der Ordnung Gottes in seinem Hause, zu dem wir zurückkehren. Dass uns die Sünder dann zusammen mit Jesus meiden, wenn sie nicht gerade umkehren wollen oder eine himmlische Segnung suchen, sollte klar geworden sein.

Daher bin ich gekreuzigt mit Jesus und verachtet von den Sündern aber geehrt von Gott. Ich wiederum verachte die Sünder nicht, sondern ich war selbst ein Sünder und kehrte um. Daher glaube ich auch daran, dass am Ende alle Menschen umkehren aus dem Reich der Anklage gegen Gott in das Reich der Ordnung Gottes. Wer keine Anklage mehr gegen Gott richtet, sondern Fehler nur noch bei sich erkennt, der ist wohl bereit für die Errettung. Er ist der verlorene Sohn, der geknickt zum Vater zurückkehrt und sich nicht vorstellen kann, wie ihn dieser erhöhen wird. Dies kann er erst dann glauben, wenn ihn der Vater bei seinem Eintreffen mit dem Geist der Vergebung reinwäscht von allen Geistern der Anklage. Nach dieser Reinigung wird der Sohn sich freuen und die Insignien der himmlischen Macht annehmen aus der Hand des Vaters, der ihn wieder einsetzt als seinen Sohn, der Autorität hat über die Geister, solange er in der Ordnung Gottes bleibt und das Haus des Vaters nicht mehr verlässt.

Die Frage kommt bei uns auf, wenn wir erfahren, dass Jesus die Kreuzigung ertragen musste, um ganz zum Vater gehen zu können: Müssen wir dies auch erfahren? Jesus sagte seinen Nachfolgern, dass sie den gleichen Kelch trinken werden, wenn die Zeit reif für sie ist.

Tatsächlich müssen wir hinnehmen, dass die Menschen der Sünde ihre Sünde nur dann unbeschwert erleben können, wenn sie davon ausgehen, dass sie auf einem Heilsweg seien, der weg von Gott und damit auch weg von uns, die bei Gott wohnen, führt. Es ist in diesem Sinne unvermeidlich, dass wir in den Augen der passionierten Sünder etwas sind, das sie nicht suchen, nicht wollen und nicht schön finden. Die Ablehnung durch Menschen, die gerne mehr Sünde erleben wollen, ist ebenso unser täglich Kreuz, wie es die Bestätigung durch Gottes Präsenz und Liebe ist. Es ist ein Kennzeichen von seelischer Reife, wenn man mit der Ablehnung durch passionierte Sünder kein Problem mehr hat und darunter nicht mehr leidet. 

Denn dies setzt voraus, dass man nicht mehr meint, es lege ein Fehler vor, wenn dies so geschieht. Würde man das denken, so käme man zu der Meinung, man sei von Gott verlassen worden, wenn man von Menschen abgelehnt wird. Tatsächlich aber ist ja das Gegenteil der Fall. Es lehnen und lediglich solche Menschen ab, die auf der Flucht vor Gott sind, um das vermeintliche Heil im Verderben zu finden, das sie gerne erleben möchten in der Meinung, das sei wohl lustiger und vorteilhafter, als Gott. Wenn uns diese Leute toll fänden, müssten wir uns ernsthafte Sorgen um unser Seelenheil machen. So aber ist es recht, wenn sie vor uns flüchten, wie sie auch vor Gott flüchten. Würden wir aber meinen, wir müssten um jeden Preis im Kreise der Sünder hocken, um dazuzugehören, so würden auch wir ihre Ablehnung fürchten und daher an jeder Sünde teilhaben, nur um dazu zu gehören in einer Gruppe, die noch uneinsichtig und unreif ist und noch viel unter dem falschen Weg leiden muss.

Ist es also ein Leid, von den wegeilenden Menschen abgelehnt zu werden? Nein, das wäre es nur, wenn wir bedauern würden, nicht mit ihnen gehen zu können in Ermangelung der Geduld, Güte und Nachsicht, die man im Herzen hat, wenn man ganz zu Gott geht.

Das Leiden unter der Ablehnung der Sünder ist somit ein Kennzeichen dafür, dass wir noch nicht ganz beim Vater angekommen sind und noch ein Stück des Weges vor uns liegt. Die Kreuzigung ist erst dann für uns abgeschlossen, wenn wir die Sünde ganz losgelassen haben und davon losgelöst wurden. Der Prozess dieser Ablösung ist noch schmerzhaft, da es sich um eine Transformation handelt. Danach aber kommt Freude und Dank auf, weil wir einen kleinen Preis für unendliche Seligkeit bezahlt haben. Zudem können wir jene sehen, die uns ablehnen und wir lieben sie viel mehr, als wir es taten, als wir auch Sünder waren. Paradoxer Weise können wir unsere Mitmenschen erst dann richtig lieben, wenn wir ihre Ablehnung akzeptiert haben als etwas, das sie praktizieren, wir aber nicht. Wir werden ihr Nächsten dadurch, dass wir nicht an der Ablehnung gegen Gott mitarbeiten, die sie praktizieren. Während sie uns immer mehr ablehnen, tun wir es immer weniger. Während die sich immer kleiner machen, um uns zu meiden, expandiert unsere Seele zur Allgegenwärtigkeit. So wird es ihnen zur Übung, uns zu ignorieren, obwohl wir doch da sind. Sollten wir darunter leiden, sind wir noch nicht ganz im Heil angekommen. 

Es stellt sich heraus, dass Jesus, der zum Vater gegangen ist und damit dem Anschein nach die Runde der Menschen verlassen hat, in Wahrheit spirituell betrachtet zu allen Menschen hingegangen ist, um sie zu lieben. Jesus wurde zwar aus dem Blickfeld des sündhaften Auges entfernt, aber sichtbar für die Augen der Liebe auf der ganzen Welt. Daher kann man ihn auch überall finden, wenn man ihn nicht hasst, sondern ihn liebt. Und so ist es auch mit allen, die Jesus nachgefolgt sind. Sie wurden unsichtbar für die Augen des Hasses. Im Auge des Hasses sind wir Nichts. Wir werden darin ignoriert zu unserem Heil. Denn der Hass gegen Gott will Gott nur unsichtbar machen, indem er ihn in sich selbst tötet. Dass aber Gott in Liebe ständig anwesend ist und zwar überall, bemerkt das Auge des Hasses gar nicht mehr. Es wähnt sich unbeobachtet und meint, dass Gott nicht ins Verborgene sehen könne. Doch die Liebe ist überall, während sich der Hass lokal konzentriert. So kommen wir in Liebe und werden ignoriert und nicht angenommen. Der Hassende aber verneigt sich vor den Meistern des Hasses. Dann feiern sie eine Messe, bei der Gott überhaupt nicht gesehen wird, obwohl er da ist. Der Grund ist, dass die Trennung zwischen Gott und Mensch dort vollkommen erscheint, wo der Mensch Gott vollkommen ignoriert und zugunsten seiner Sünde gekreuzigt hat. Gott wird also dort gänzlich unsichtbar, wo man selbst sein Heil in der Kreuzigung des Jesus sucht, ohne selbst Teilnehmer an dieser Kreuzigung zu werden. Wir gehen in die Liebe ein, wenn wir Teilnehmer der Kreuzigung werden auf der Seite von Jesus mit Jesus und mit ihm in Liebe wiederkommen im Geist und nicht sichtbar für das Auge des Hassenden, der Gott verurteilt hat. Denn der Herr kommt wieder, so wie er gegangen ist, sichtbar für diejenigen, die ihn lieben und verborgen denen, die der Sünde folgen wollen.

Wer aber in der Liebe zu Gott geht, der sieht uns und nimmt uns an.

 

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Jesus in Matthäus 22:37-39.)

Thomas Ihli
Thomas Ihli

Einen Kommentar posten